Jäger machen nach bundesweiten Protesten einen Rückzieher
![Der Fuchs im Fadenkreuz: Er steht bei der Jägerschaft hoch im Kurs – als Opfer. In der Jagdsaison 2010/2011 wurden bundesweit 519.368 Exemplare durch die Waidmannszunft exekutiert. Der Fuchs im Fadenkreuz: Er steht bei der Jägerschaft hoch im Kurs – als Opfer. In der Jagdsaison 2010/2011 wurden bundesweit 519.368 Exemplare durch die Waidmannszunft exekutiert.]()
Der Fuchs im Fadenkreuz: Er steht bei der Jägerschaft hoch im
Kurs – als Opfer. In der Jagdsaison 2010/2011 wurden bundesweit
519.368 Exemplare durch die Waidmannszunft exekutiert.
Gießen
| Da hatten die wackeren Nimrods die Rechnung ganz offensichtlich ohne den Wirt gemacht. Die Reinekes können aufatmen, zumindest die im südwestlichsten Zipfel von Nordrhein-Westfalen. Daselbst, im Kreis Euskirchen, ist nach massiven bundesweiten Protesten der von Jägern für das kommende Wochenende geplante Massenabschuss von Füchsen abgesagt worden. Ein Erfolg für die Tierschützer vor Ort, aber auch für ihre vielen, nach Tausenden zählenden Unterstützer aus allen Teilen der deutschen Michel-Republik. Womit sich zeigt, dass Widerstand lohnt, zumal dann, wenn er sich gegen völlig unsinnige Vorhaben richtet. Er muss aber gebündelt und entsprechend kanalisiert werden. Und das ist in diesem Fall beispielhaft geschehen.
Der Wind beginnt sich zu drehen. Weite Bevölkerungskreise reagieren zunehmend ablehnend, was solche blutigen und überkommenen "Freizeitvergnügungen" wie die Fuchsjagd anbelangt, die ihre Legitimation ausschließlich auf eine diffuse Tradition gründet. Aber die erhöhte Sensibilität manifestiert sich auch anderweitig. So hatte der Plan der Stadt Wetzlar, Füchse im Stadtgebiet in Lebendfallen fest zu setzen und anschließend zu erschießen, im Dezember vergangenen Jahres eine Welle der Empörung ausgelöst. Er wurde schließlich, nachdem auch zum Politikum geworden, fallen gelassen. Aber auch in diesem Zusammenhang hatten die Strategen (wider besseres Wissen) die Tollwut- und Bandwurmkarte ausgespielt. Aber der vermeintliche Trumpf stach nicht und entpuppte sich als Rohrkrepierer.
100 Reinekes auf der Abschussliste
Und nun 100 pelzige Rotröcke , die, go West, 172 Kilometer weiter westlich der Domstadt dran glauben sollten. Gut, das ist nicht viel, wenn man bedenkt, dass in Deutschland jedes Jahr 5 Millionen Wildtiere erschossen, erschlagen oder in Fallen getötet werden. 5 Millionen Tiere jedes Jahr – das sind 13.700 jeden Tag, 570 pro Stunde, fast 10 Tiere pro Minute. Alle 6 Sekunden stirbt ein Tier durch Jägerhand. Aber 100 lautete das Planungsziel, das man im Rahmen einer konzentrierten, flächendeckenden und sich auf 300 Reviere erstreckenden Vernichtungsaktion zu erreichen hoffte. Natürlich ganz im Sinne der Volksgesundheit. Die Jäger hatten vorgegeben, damit vor allem dem Fuchsbandwurm und Tollwut im südwestlichsten Zipfel von NRW Einhalt gebieten zu wollen.
Eine ziemlich lahme Begründung. Solche und ähnlich dämlichen
Ganze Arbeit geleistet: Das Ergebnis einer Fuchsjagd. Es soll Menschen geben, die sich an einem solchen Anblick berauschen. Und die dürfen sogar frei herumlaufen…Rechtfertigungen für Blutbäder, die nur die eigene Lust am Töten kaschieren sollen, werden zwar auch durch ständige Wiederholung nicht schlüssiger und stichhaltiger, aber die Jäger setzten auf deren emotionale Durchschlagskraft. Sie verschwiegen wohlweislich, dass die Tollwut in Deutschland seit 2008 so gut wie ausgerottet ist und eine Infektion mit dem Fuchsbandwurm zu den seltensten Parasitosen in Europa zählt. Die Wahrscheinlichkeit, sich durch Verzehr von kontaminierten Waldbeeren damit anzustecken, ist geringer als ein Lottogewinn mit sechs Richtigen inklusive Zusatzzahl. Oder, anders ausgedrückt: Die Gefahr, an einem mit Reet gedeckten Haus von einer herunterfallenden Ziegel-Dachpfanne getroffen und verletzt zu werden, ist genauso hoch.
Der Schuss ging nach hinten los
Dagegen hatte Johann Jütten, der Sprecher der grünuniformierten Euskirchener "Heger" , behauptet, etwa 80 Prozent aller im dortigen Kreisgebiet erlegten Füchse würden den Bandwurm-Erreger in sich getragen. Ein schreckliches, Angst einflößendes Szenario. Doch die wahren Motive für die Aktion offenbarte der Mann, Hegeringleiter und stellvertretender Vorsitzender der Kreisjäger in Personalunion, in einem internen Schreiben an seine lieben Kameraden:
Drei junge Füchse vor dem Bau. Es sind Lebewesen, die Gefühle haben und Schmerz empfinden.Die mögen sich an diesem Wochenende doch verstärkt dem "Fuchsansitz" verschreiben, und zwar deshalb, "damit wir auch in diesem Jahr wieder eine beachtliche Strecke öffentlichkeitswirksam präsentieren können". Ob sich auf diese Weise in der Öffentlichkeit freilich dauerhaft Sympathiepunkte einsammeln lassen, darf inzwischen bezweifelt werden.
In dem Schreiben Jüttens heißt es weiter: "Es ist nämlich vonnöten, unserer nicht jagenden Bevölkerung durch unsere Regionalpresse aufzuzeigen, wie ernst wir das Problem des kleinen Fuchsbandwurms nehmen und dass wir bereit sind, durch gezielte Bejagung etwas dagegen zu tun", schreibt er. Wie selbstlos! Der Schuss ging aber nach hinten los.
Verwerten lassen sich getötete Füchse nicht oder nur bedingt. Für den Kochtopf sind sie ungeeignet, und niemand wird noch einen aus ihrem Fell gefertigten Mantel öffentlich spazieren tragen wollen. Aber Jütten weiß Rat: Man könne doch eine warme Decke daraus nähen oder sich ein ausgestopftes, entsprechend präpariertes Exemplar als Schmuck ins Jagdzimmer stellen…. Das offenbart sehr anschaulich auch das Dilemma, in dem die Jägermeister bei ihrem angestrengten Bemühen, die Fuchsjagd zu rechtfertigen, stecken.
Der Kick beim tödlichen Schuss
Lockvogel: Jäger haben einen sogenannten "Luderplatz" mit erschossenen Fuchs bestückt. Der Kadaver soll Artgenossen anlocken. Während sie fressen, hat der Schütze im Hinterhalt leichtes Spiel."Dass die gestreckten Füchse eine sinnvolle Verwendung erfahren, ist auch sehr wichtig für unsere Kommunikation nach außen", hieß es im entlarvenden Jütten-Brief weiter. Und aufgemerkt: Der Mann und die Seinen "strecken" die Beute lediglich. Das klingt moderater als abknallen oder töten…. Aber ausschließlich darum geht es. Man braucht sich nur einmal die einschlägigen Jagdzeitschriften zu Gemüte führen. Oder in den diversen Internetforen zu stöbern: Da ist von der "Lust am Nachstellen und Erbeuten" die Rede, von der "Waidmannsfreude, einen Fuchs im Schrotschuss rollieren (sich überschlagen) zu lassen", vom "Reiz der winterlichen Fuchsjagd", vom "Jagdtrieb", vom "Jagdfieber" und vom "Kick", den der Jäger beim tödlichen Schuss erlebe. Da wird zum Teil große poetische Kraft frei gesetzt. Mit blumigen Worten schildern die Helden begeistert, wie die Kugel mit dynamischer Stärke aus dem Lauf ihrer Waffe fliegt und sich mit Wumm in den Körper des Opfers bohrt….
Aber es gibt auch Ausnahmen . Nicht alle Vertreter dieser Zunft ticken so. Auch innerhalb der Jägerschaft mehren sich die mahnenden Stimmen, die derlei Praktiken und Einstellungen kritisch hinterfragen und die vor allem die gnadenlose und durch nichts gerechtfertigte Ballerei auf Füchse vehement ablehnen: http://www.youtube.com/watch?v=-LQfAvsJrzU
Obwohl Füchse eine wichtige Rolle im Naturhaushalt spielen, werden sie gnadenlos verfolgt.Die Jägeraktion in Euskirchen samt vorgeschobenem Motiv hätte allen wissenschaftlichen Erkenntnissen Hohn gesprochen. Es ist bewiesen, dass sich Fuchspopulationen nicht durch intensive Bejagung reduzieren lassen. Im Gegenteil: Dort, wo den Buschschwänzigen vehement nachgestellt wird, vermehren sie sich stärker und kompensieren die Verluste durch erhöhte Reproduktionsraten. Andererseits nehmen unbejagte Fuchsbestände keinesfalls überhand, auch wenn man uns das immer weismachen will. Jägerlatein in seiner reinsten Form. Komplexe Sozialstrukturen, in denen bei hoher Populationsdichte und geringem Jagddruck deutlich weniger Welpen zur Welt kommen, setzen der Vermehrungsrate Grenzen.
Neben dem örtlichen Tierschutzverein hatten auch engagierte Bürger zum Widerstand aufgerufen. So war (und ist) u.a. eine Demonstration vor dem Sitz der Kreisjägerschaft geplant, bei der auch eine Unterschriftenliste übergeben werden soll(te). Parallel dazu lief eine Online-Petition unter dem Motto "Stoppt das geplante Fuchsmassaker im Kreis Euskirchen" auf Hochtouren, der sich innerhalb weniger Tage fast 14.000 Unterstützer angeschlossen hatten.
PETA drohte mit Strafanzeige
Die Tierrechtsorganisation "PETA" hatte mit Strafanzeige gedroht, sollte die Hatz stattfinden. "Laut Tierschutzgesetz muss es für das Töten eines Tieres einen vernünftigen Grund geben – ein solcher liegt sicher nicht vor, wenn sich Hobbyjäger von Beuteneid und der Lust am Töten leiten lassen", argumentierte Vanessa Reithinger, Fachreferentin für Wildtiere bei PETA Deutschland, in diesem Zusammenhang. Die Unabhängige Tierschutz–Union Deutschlands hatte bereits vorsorglich Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Bonn erstattet – namentlich gegen Oberjäger Jütten. Das war diesem und seinen Brüdern (und Schwestern) im Geiste dann letztendlich doch etwas Gegenwind zu viel. Sie machten einen Rückzieher – aber vermutlich nicht aus Einsicht. Man wolle kein Strafverfahren riskieren, heißt es. Auch seien Jäger von militanten Tierschützern bedroht worden. Eine nicht verifizierbare Behauptung, die unter dem Schlagwort "Gesichtswahrung" gebucht werden könnte.
Höchstens ein Etappensieg
Ende gut, alles gut? Für Markus Schmitz-Bongard, den Vorsitzenden des Tierschutzvereins Kall und Umgebung, der den Widerstand organisiert hatte, ist die überraschende Wendung, die dieser Fall genommen hat, zunächst einmal ein großer Erfolg. Doch er kann allenfalls als Etappensieg verbucht werden. Denn der Mann weiß: Wenn die Jäger den Füchsen (in großem Stil) an den Pelz wollen, werden sie es künftig eher im Stillen und Geheimen tun und so etwas nicht mehr vorab an die große Glocke hängen. Deshalb sei und bleibe eine entsprechende Novellierung des Landesjagdgesetzes das erklärte Ziel. Dafür streiten übriges auch Tierschützer in anderen Bundesländern.
Da ist man im klitzekleinen Großherzogtum Luxemburg schon ein Stück weiter. Die Regierung hat die Jagd auf Füchse unlängst komplett verboten, weil sie darin keinerlei Notwendigkeit sieht. Die Regelung gilt zunächst für ein Jahr. Dann wird man ja sehen, ob der von der Waidmannschaft prophezeite Gau, der sich in einer explosionsartigen Vermehrung der Rotröcke manifestieren soll, tatsächlich eintritt. Eher wohl nicht.
Camille Gira, Staatssekretär im Luxemburger Ministerium für nachhaltige Entwicklung und Infrastruktur Luxemburgs, hat eine interessante Begründung für die Kabinetts-Initiative geliefert: "Leitlinie der Regierung sei es, eine andere Umgangsweise mit Tieren zu fördern, die einer aufgeklärten Gesellschaft im 21. Jahrhundert gerecht wird". Daran gemessen leben wir in Hessen und in Deutschland ja noch in der Steinzeit. Gira weiter: "Wir Menschen sind nicht die einzigen Lebewesen, die Gefühle haben und Schmerz empfinden".
Post Scriptum: Von Theodor Heuss, dem ersten deutschen Bundespräsidenten, stammt dieser Satz: "Die Jagd ist eine Nebenform menschlicher Geisteskrankheit." Jagd, so befand er, sei ist nur eine feige Umschreibung für besonders feigen Mord am chancenlosen Mitgeschöpf.
http://www.giessener-zeitung.de/giessen/beitrag/100438/massentoetung-von-fuechsen-abgeblasen-jaeger-machen-nach-bundesweiten-protesten-einen-rueckzieher/
Kommentare