Wenn der grüne Minister Tiere zum Abschuss freigibt
Vor 120 Jahren holte ein Baron das Sikawild nach NRW – und ahnte nicht, was es für Schaden anrichten würde. Jetzt sollen die Hirsche stärker gejagt werden, doch Jäger machen gegen das Gesetz mobil.
Man sieht sie eher selten, die Sikahirsche im Arnsberger Wald (NRW). Doch Förster beklagen die Schäden, die sie an Bäumen anrichtenSie waren schon wieder da! Franz-Josef Schmieding hat zwar schon Feierabend, er trägt Freizeitkleidung und Halbschuhe, trotzdem stapft er durch den nassen Schnee zu zwei Bäumen, an denen handtellergroße Stellen von frischem, hellem Holz zu sehen sind. Offensichtlich wurde die Rinde weggeknabbert. Schmieding will den Schaden aus der Nähe sehen – als ob er nicht wüsste, was ihn erwartet. Als ob es auf diese beiden Fichten noch ankäme, wo doch in diesem Waldstück ohnehin so gut wie jeder Baum angefressen ist. Doch mit jedem neuen beschädigten Baum steigert sich Schmieding weiter in seine Wut hinein – in seine Wut auf die Sikas. Und auf die Jäger, die nichts gegen die Plage unternehmen.
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Als vor 120 Jahren ein tierliebender Baron das Sikawild, eine aus Asien stammende Hirschart, in den Arnsberger Wald holte, ahnte er wohl kaum, was er damit anrichten würde. Um die Sikahirsche und den Schaden, den sie hinterlassen, tobt mittlerweile ein wüster Streit, dessen Fronten nicht immer klar auszumachen sind. Es gibt böse Leserbriefe, Strafanzeigen werden gestellt, verleumderische Gerüchte gestreut. Waldbesitzer und Förster schimpfen auf die Jäger, die mit ihrem Trophäenfimmel dazu beitrügen, dass die Zahl der Sikas immer weiter steige.
Und die Jäger machen nun gegen das Umweltministerium mobil. Denn seit die Pläne für das neue NRW-Jagdgesetz bekannt sind, das auch eine rigidere Bejagungsstrategie der Sikas vorsieht, heißt es, Minister Remmel habe vor, die Sikas im Arnsberger Wald auszurotten. Fachleute beteuern zwar, dass auch mit dem neuen Jagdgesetz noch genügend Sikas übrig bleiben würden. Dennoch wurde kürzlich eine Online-Petition "gegen den Totalabschuss" gestartet. Die Bürgermeister dreier Gemeinden halten dagegen, sie haben an Remmel einen Bittbrief geschrieben, er möge bei seinem Kurs bleiben.
Sikahirsche torpedieren Wirtschaftspläne des Försters
Auch Franz-Josef Schmieding hat dem Minister geschrieben. Schmieding lebt vom Wald. Ihm gehören 87 Hektar, und er durchforstet im Auftrag der Forstbetriebsgemeinschaft Warstein-Allagen auch die Bäume vieler anderer Privatwaldbesitzer. Fast jeden Tag arbeitet er hier oben. Und fast jeden Tag entdeckt er neue Schäden. Vor vier oder fünf Jahren sei es in seinem Wald losgegangen. Seitdem beobachtet er, dass die Sikahirsche, die eigentlich nur weiter westlich, in der Nähe des Möhnesees, stehen sollten, auch im Warsteiner Wald mit ihren Zähnen die Rinde abschälen. "Die Tiere weiten ihren Lebensraum immer weiter aus", sagt Schmieding, "bei uns bewegen sie sich jedes Jahr etwa 300 Meter weiter in Richtung Osten".
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In Buschwerk und hohem Gras können sich Sikahirsche besonders gut verstecken. Das macht es schwierig, sie zu jagen Und wo die Sikas Einzug halten, da verliere der Wald schlagartig an Wert, sagt Schmieding. Er zeigt die Fäulnisstellen im unteren Drittel der Stämme, wo normalerweise das wertvollste Holz wächst. Nun muss er es als Material für Spanplatten verramschen – zu nicht einmal einem Drittel des Preises. Schmieding zeigt Bäume, die er in den nächsten Jahren gerne zu sogenannten Z-Stämmen gepäppelt hätte, die zur besten Ertragskategorie zählen. Starke Bäume stehen lassen, dünne Bäume herausnehmen, so sehe planvolle Forstwirtschaft eigentlich aus, sagt Schmieding. Doch die Sikas zwingen ihm ein anderes Vorgehen auf: Der Baum, dessen Rinde am stärksten geschädigt wurde und als erster fault, muss als erster gefällt werden.
Manchmal trifft Schmieding bei seiner Arbeit auf ein Rudel Sikas, "kein bisschen scheu sind die, bis auf zehn Meter lassen sie mich an sich herankommen", erzählt er, "fast schon, als wollten sie mich provozieren".
Gemeinsam erstellter Abschlussplan habe sich bewährt
Wenige Kilometer von Schmieding entfernt kann man einen anderen Waldbesitzer treffen, der ebenfalls Erfahrungen mit Sikas hat: Wennemar Freiherr von Fürstenberg-Herdringen. Doch trotz dieser Gemeinsamkeit liegen Welten zwischen Fürstenberg und Schmieding. Fürstenberg ist nicht nur Besitzer von 1400 Hektar Wald im Sika-Gebiet, sondern auch Jäger. Und er unterstützt die Pro-Sika-Petition. Nun sitzt er gemeinsam mit Wolfgang Krengel und Thomas Reiche, den beiden Vorsitzenden der Hegegemeinschaft, im sogenannten Jagdzimmer eines Hotels am Ufer des Möhnesees. Draußen ziehen Nebelschwaden über den Arnsberger Wald, drinnen hängen Sika-Geweihe an der Wand.
Wolfgang Krengel, Gesellschafter einer großen Papierfabrik und ebenfalls Waldbesitzer, übernimmt in diesem Trio die Rolle des Vermittlers. Der Sika-Bestand sei doch in den vergangenen vier Jahren bereits deutlich reduziert worden, sagt er. Außerdem habe sich das System, bei dem Waldbesitzer, Hegegemeinschaft und Jagdbehörde gemeinsam einen Abschussplan erstellen, bewährt. Nur so könne gewährleistet werden, dass die Jäger nicht nur die geweihtragenden männlichen Tiere, sondern "auch genügend weibliches Wild erlegen".
Schärfer als Krengel formuliert Thomas Reiche, ein Unternehmensberater und gelernter Förster. Er bestreitet rundweg, dass überhaupt ein Konflikt zwischen Wald und Wild vorliege. Man wolle den Sikas vielmehr Schäden in die Schuhe schieben, die die Waldbesitzer "durch forstliches Unterlassen und Nicht-Handeln" selbst zu verantworten hätten. Reiche betreibt derzeit nicht nur Lobbyarbeit bei Landtagspolitikern, er streift auch durch die Wälder und sammelt Hinweise und Belege für die Fehler der Förster.
"Die Tiere lernen dazu"
Ähnlich wie Thomas Reiche argumentiert Wennemar von Fürstenberg. Gewiss, früher habe es auch in seinem Wald Probleme gegeben, so gibt er zu. "Doch seit ich meine Jagdstrategie verändert habe, haben wir fast keine neuen Schäden mehr", sagt er. "Die Tiere lernen dazu", erklärt Fürstenberg, "so wie früher kann man sie nicht mehr bejagen".
Anstatt nächtelang auf die Pirsch zu gehen, bei jeder Gelegenheit auf Sikas zu schießen und die Tiere damit immer scheuer und heimlicher zu machen, veranstalte er zwei- bis dreimal im Jahr eine sogenannte Drückjagd, bei der dann die im Abschussplan vorgesehene Anzahl an Tieren erlegt werde. So wie Fürstenberg redet, klingt alles ganz einfach.
Fürstenberg gehört auch zu jenen, die davon ausgehen, dass das neue Jagdgesetz dazu diene, die Sikas im Arnsberger Wald auszurotten, "auch wenn das so im Gesetz nicht drinsteht".
"Vernichtungsfeldzug gegen Sikahirsche"
Denn im Wortlaut sieht der Gesetzentwurf lediglich vor, das sogenannte Sika-Bewirtschaftungsgebiet im Arnsberger Wald für fünf Jahre aufzulösen. Das würde bedeuten, dass die Abschusspläne für das Sikawild nicht mehr wie bisher in Absprache mit der Hegegemeinschaft erstellt werden müssten. Waldbesitzer und ihre Jagdpächter könnten sich stattdessen in Eigenregie auf Abschusszahlen einigen. Doch wohin das führe – das könne man bereits jetzt bei seinem Grundstücksnachbarn sehen, sagt Fürstenberg. Angrenzend an Fürstenbergs Wald liegt der NRW-Staatsforst, und dort werde, so sagt Fürstenberg, "ein Vernichtungsfeldzug gegen die Sikas geführt".
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Manch einer unterstellt Jägern, sie würden mehr männliche Sikahirsche jagen. Der Grund: Weibliche Hirschtiere haben kein Geweih, dass sich als Trophäe eignetbr /
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Manch einer unterstellt Jägern, sie würden mehr männliche Sikahirsche jagen. Der Grund: Weibliche Hirschtiere haben kein Geweih, dass sich als Trophäe eignetbr /]()
Manch einer unterstellt Jägern, sie würden mehr männliche Sikahirsche jagen. Der Grund: Weibliche Hirschtiere haben kein Geweih, dass sich als Trophäe eignet
Als der Staatsförster Peter Meier das hört, lacht er erst so laut auf, dass es im Wald widerhallt. Dann wird er wütend, weil Fürstenberg damit ja unterstellt, bei den Jagden im Staatsforst gehe nicht immer alles mit rechten Dingen zu. Immer wieder würden solche Gerüchte gestreut, sagt Meier. Einer seiner Kollegen, der Stadtförster von Warstein, hat derzeit sogar eine Anzeige am Hals, weil es bei einer Jagd zu einem Verstoß gegen das Jagdrecht und das Tierschutzgesetz gekommen sein soll. Die Polizei ermittelt, der Förster spricht von einer Rufmord-Kampagne.
Peter Meier ist Jagdkoordinator im Staatsforst Arnsberger Wald. Stolz verweist er auf das neue Jagdkonzept. Im Staatswald werde nach modernster Methode gejagt. Alle beteiligten Jäger müssten vorher eine Schießprüfung ablegen, auch der Tierschutz werde überaus wichtig genommen. Meier räumt auch ein, dass im Staatsforst überdurchschnittlich viel Sika-Wild erlegt wird. "Wir können doch reden, was wir wollen", sagt Peter Meier, "Tatsache ist doch, dass wir regional stark überhöhte Wildbestände haben."
Große Zahl der Sikas wird zum Problem
Mitte der 90er-Jahre wurde im Arnsberger Wald ein rund 20.000 Hektar großes Bewirtschaftungsgebiet festgelegt, das den Lebensraum für rund 500 Sikas bilden sollte. Wie viele Tiere tatsächlich dort leben, weiß niemand. Unumstritten ist allerdings, dass es deutlich mehr sind. Die zuständige Hegegemeinschaft spricht von bis zu 1500 Tieren. Andere schätzen, dass mehr als 2000 Sikas im Arnsberger Wald unterwegs sind – und zwar auch weit außerhalb des einst festgelegten Gebiets.
Damit gilt dieses Vorkommen als eines der wichtigsten dieser Tierart, die in ihrer ursprünglichen Heimat bedroht ist. Das klingt positiv und nach Artenschutz und wird von den Jägern bei ihrem Kampf gegen das neue Jagdgesetz genüsslich angeführt. Will sich ein grüner Umweltminister etwa am Aussterben einer Art mitschuldig machen?
Wenn man die Vertreter der Pro-Sika-Fraktion reden hört, bekommt man ohnehin den Eindruck, dass der Streit um die Sikas vor allem ein Kampf der Ideologien sei. Auf der einen Seite die Jäger, die nach bewährter Manier Tier und Wald in Balance halten. Auf der anderen Seite die grüne Politik, in deren Konzept Tiere keine Platz haben, die hier nicht heimisch sind und vom Menschen hergebracht wurden.
Untersuchung belegt Schäden an Bäumen
Förster Peter Meier und sein Chef Günter Dame, Leiter des Staatsforstamts Arnsberger Wald, wollen sich zu solchen Diskussionen nicht äußern. Sie halten sich an die Fakten. Und um die vor Augen zu führen, kutschieren sie ihren Besucher im Jeep zu jenen jungen Fichten- und Buchenbeständen, in denen "die forstwirtschaftlichen Ziele infrage gestellt sind", wie Dame sagt. Im Wald angekommen, breitet Dame erst einmal großformatige Karten aus. Darauf sind die Ergebnisse einer aktuellen Untersuchung eingetragen, die ein unabhängiger Gutachter an 3546 per Zufallsgenerator ausgewählten Bäumen des Staatsforsts vorgenommen hat.
Das Ergebnis ist deutlich. Bei fast der Hälfte aller Bäume wurden Schäden festgestellt, weil Wild die Rinde abgeschält hat. Und bei drei Prozent der Bäume fand der Gutachter frische, aus diesem Jahr stammende Abschälungen der Rinde. "Drei Prozent aller Bäume – das hört sich so an, als wäre das nicht besonders viel", sagt Dame. "Aber wenn jedes Jahr drei Prozent hinzukommen, dann bedeutet das doch, dass wir in 30 Jahren keinen einzigen gesunden Baum mehr im Wald stehen haben."
Dann zeigt Förster Peter Meier ein Waldstück mit hohen, majestätischen Buchen. Der Boden darunter ist licht. Für den Laien sieht das nach einer intakten Idylle aus. Doch wenige Meter weiter stehen Buchen, die von einem Gatter umzäunt sind. Und unter diesen Bäumen stehen Tausende kleiner Buchenpflanzen, die sich selbst ausgesät haben und den Wald fast undurchdringlich machen.
Waldbesitzer hofft auf wiederkehrenden Wolf
"So müsste es hier eigentlich überall aussehen", sagt Meier. Doch ohne den Schutz des Gatters fresse das Wild den natürlichen Nachwuchs der Bäume weg. "Und damit fehlt die nächste Waldgeneration komplett." Erschwerend komme hinzu, dass die Flächen, die der Sturm Kyrill hinterlassen hat, die Bejagung der Sikas in ein paar Jahren noch schwieriger mache, weil dann auf den Kahlschlägen dichtes Buschwerk wachsen wird – ideale Verstecke für Sikas.
Auch der Waldbesitzer Franz-Josef Schmieding hat wenig Hoffnung für die Zukunft seiner 87 Hektar, wenn das Jagdgesetz in der Sika-Frage wieder abgeschwächt werden sollte. Schmieding macht den Eindruck, als kämpfe er auf verlorenem Posten. Viele kleine Waldbesitzer, die nicht viel von der Forstwirtschaft verstünden, sähen das Problem nicht und seien zudem den Einflüsterungen der Jäger ausgeliefert, sagt er. Deshalb wartet Schmieding jetzt auf den Wolf, der im Januar schon zweimal in NRW gesichtet wurde. Wölfe, so sagt er, würden den Kampf gegen die Sikas bestimmt gewinnen.
http://www.welt.de/regionales/nrw/article137428624/Wenn-der-gruene-Minister-Tiere-zum-Abschuss-freigibt.html
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