Bambi-Romantik versus Naturschutz
Die Grünen verlangen die Abschaffung der Jagd im Kanton Basel-Stadt. Ein Verbot hätte jedoch negative Folgen – ökologisch wie auch finanziell.
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Die grüne Politikern Brigitta Gerber bläst zum Halali auf die Jagd. Die ehemalige Grossratspräsidentin bezeichnet das Jagen von Wildtieren als völlig «unnötig» und verlangt zusammen mit 13 weiteren Grossrätinnen und Grossräten eine Gesetzesänderung. «Die gängige Theorie, dass Jäger die Beutegreifer ersetzen müssen, um die Bestände zu kontrollieren, ist wissenschaftlich nicht haltbar», so Gerber. Sie und ihre Unterstützer vor allem aus dem links-grünen Lager fordern, dass Basel-Stadt es künftig wie der Kanton Genf halte, der seit 1974 das totale Jagdverbot kennt. In der Praxis funktioniere das ohne nennenswerte Probleme, schreibt Gerber.
Jäger und Förster rieben sich verwundert die Augen, als sie den politischen Vorstoss von Ende Juni sowie die Argumente hörten. «Die Motionäre setzen wahl- und bedenkenlos falsche Behauptungen in die Welt», sagt Markus P. Stähli vom schweizerischen Jagdmagazin «Jagd & Natur». «Es werden wiederholt Wörter wie wildbiologisch und wissenschaftlich verwendet, dabei handelt es sich bloss um Behauptungen – Grundlagen und Fakten werden keine geliefert.»
Das erste Problem, das die Jagdgegner vom Rathaus am Basler Marktplatz haben, ist ihr Vorbild Genf. Der Westschweizer Stadtkanton hat zwar offiziell ein Jagdverbot, tatsächlich aber wird dort nach wie vor gejagt. Für die Regulation des Wildtierbestandes seien über 20 vollamtliche Wild- und Umwelthüter angestellt, sagt Stähli. Jährlich erlegen die staatlichen Jäger so um die 500 Wildschweine.
Dürfen die Jäger des Jagdreviers Riehen-Bettingen den Wildbestand nicht mehr regulieren, so muss das der Staat übernehmen oder – was viel wahrscheinlicher ist – die Landgemeinden. Denn der grösste Teil des Kantons Basel-Stadt befindet sich in einem Jagdschongebiet und spielt für das Jagdverbot sowieso keine Rolle. Marco Balmelli, Mitpächter des Jagdreviers Riehen-Bettingen, geht davon aus, dass Kosten in der Höhe von mehreren Millionen entstehen, die Steuerzahler von Riehen und Bettingen zu berappen hätten. Die Vorstellung, dass die Jagd ganz aufgegeben werden könnte und kein einziges Reh oder Wildschwein mehr abgeschossen werden müsste, bezeichnet Balmelli «als völlig romantisch und weit entfernt von jeder Realität».
Riehener Politikerin ist dafür
Hinter vorgehaltener Hand vermuten einige Jäger, dass die grüne Grossrätin Brigitta Gerber mit dem Vorstoss einfach nur die Sympathie und Wählerstimmen von militanten Tier- und Umweltschützern sichern wolle und sich darum nicht scheue, Riehen und Bettingen ein neues Gesetz aufzuzwingen. Interessant dabei ist, dass die Riehener SP-Politikerin Franziska Roth den Vorstoss mitunterzeichnet hat. Zur Erinnerung: Franziska Roth kandidiert als Gemeinderätin und interessiert sich für das Amt des abtretenden Gemeindepräsidenten Willi Fischer.
Das Problem Nummer zwei, das sich für Basel-Stadt mit einem Jagdverbot auftäte, wäre jenes der Wilddichte und der Zukunft des Waldes. Im vergangenen Jahr führte das Waldamt beider Basel Erhebungen durch, um herauszufinden, wie tragbar die Schäden von Rehen an jungen Bäumen in den einzelnen Bezirken sind. Im Wald von Riehen und Bettingen wird die Situation als «problematisch» angegeben. Für Andreas Wyss, Revierförster von Riehen-Bettingen, ist ohne eine Bejagung die Förderung der Artenvielfalt nicht machbar. «Vor allem seltene, langsam wachsende, licht- und wärmeliebende Baumarten – wie beispielsweise die Eiche – würden aus unseren Wäldern verschwinden. Baumarten, welche in Zukunft im Zusammenhang mit einem möglichen Klimawandel eine immer wichtigere Rolle spielen», sagt Wyss.
Guido Bader vom Waldamt beider Basel sieht grosse finanzielle Zusatzbelastungen auf die Waldbesitzer zukommen, würde nicht mehr gejagt: «Den Förstern bliebe nichts anderes übrig, als mit zusätzlichen Verbissschutzmassnahmen wie Zäunen zu reagieren, was die Kosten in die Höhe treibt und von den Grundeigentümern berappt werden müsste.» Bei der heutigen schwierigen finanziellen Lage, in der sich Waldbesitzer befinden, eine enorme zusätzliche Belastung.
Wenn Grossrätin Gerber schon den Vergleich mit Genf macht, so müsste sie eigentlich auch sagen, dass die Wildschäden in keinem anderen Kanton so hoch sind – über 600 Franken pro erlegtem Paarhufer. Im Vergleich dazu das Baselbiet mit rund 100 Franken pro erlegtem Paarhufer; für Basel-Stadt gibt es keine solche Erhebung.
24-Stunden-Betrieb im Wald
In Riehen und Bettingen steigt die Population nicht nur beim Rehwild, auch der Wildschweinbestand hat in den vergangenen Jahren massiv zugenommen. Im Gebiet der Chrischona, wo es vor dreissig Jahren so gut wie keine Wildschweine gab, wurden letztes Jahr grenzüberschreitend 350 Stück erlegt. «Die Bauern klagen über hohe Schäden in ihren Feldern und fordern von uns einen noch höheren Abschuss», sagt Balmelli. Wenn es aber keine Jagd mehr geben soll, wer kommt dann für die Schäden auf den Feldern auf? Die Landwirte? Die Steuerzahler von Riehen oder Basel-Stadt? «Es gibt keine natürlichen Feinde wie Luchse bei uns. Die bewegen sich in den Jurahöhen und haben aufgrund des zersiedelten Gebiets bei uns keinen genügenden Lebensraum, was wir als Jäger und Naturschützer bedauern», sagt Balmelli.
Rainer Klöti, Präsident des Aargauischen Jagdschutzvereins, kennt die Angriffe auf die Jäger, hat der Kanton Aargau doch in den vergangenen Jahren schon mehrmals über Einschränkungen der Jagd abgestimmt. Klöti weist auf einen Punkt hin, den die Politiker bei der Diskussion oft vergessen und den er aus Sicht der Jägerethik für problematisch hält: Die Jagd im Kanton Genf, also von den staatlichen Jägern ausgeführt, werde «grossmehrheitlich mit gemäss eidgenössischem Jagdgesetz unzulässigen Methoden wie Jagd mit Scheinwerfer, Nachtsichtgerät oder Schalldämpfer durchgeführt», so Klöti.
Stress durch private Waldnutzer
Brigitta Gerber und Co. möchten durch ein kantonales Jagdverbot «den Wildtieren einen grossen Teil des Stresses nehmen, welcher durch die Angst vor dem jagenden Menschen verursacht wird.» Würden Wildtiere nicht mehr bejagt, würden sie einen grossen Teil ihrer Scheu verlieren und ihre erzwungene nächtliche Aktivität würde sich in den Tag verlegen, so Gerber. Und: «Wildtiere würden zu einem vertrauten Anblick», was helfen würde, die Bevölkerung für die natürlichen Zusammenhänge zu sensibilisieren. Markus P. Stähli von «Jagd & Natur» kann diese Argumentation nicht nachvollziehen. «Der Druck und die Stresswirkung der zahlreichen Waldnutzer auf die Wildtiere ist in Basel-Stadt um einiges grösser als durch die Jagd», sagt er. Der städtische Wald sei in den vergangenen Jahren durch all die Nutzungsformen und den 24-Stundenbetrieb zur «Kampfzone» geworden. Von «friedlichen» Waldnutzern könne keine Rede sein, Spaziergänger, Jogger, Nordic-Walker, Biker, die Wildtiere kämen kaum mehr zur Ruhe.
Wie gross der Schaden ist, den der Hochbetrieb im Wald anrichtet, lässt sich nur schätzen und rückt zunehmend ins Zentrum des Interesses. Die Stadt Zürich hat kürzlich das Institut für Umwelt und Ressourcen der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften Wädenswil (ZHAW) beauftragt, die Auswirkungen des 24-Stundenbetriebes im Wald auf Rehe und Rothirsche unter die Lupen zu nehmen. Gerber schreibt in ihrem Jagd-Abschaffungsvorstoss, sollte die Jagd wegfallen, würde sich die Fluchtdistanz, «welche nicht mehr auf die Reichweite von Schusswaffen abgestimmt ist», reduzieren. Stähli sagt, dass solche Ausführungen in keiner Weise wissenschaftlich seien, dafür stark an «Walt Disney und Bambi-Romantik» erinnerten.
Grossräte zur Jagd eingeladen
Eine Jagdabschaffung würde neben den Kosten und dem Problem der Wilddichtenregulierung auch organisatorische Fragen aufwerfen. Zum Beispiel, wer künftig die jährlich rund 50 Stück Rehe und Wildschweine, welche bei Zusammenstössen mit Autos sterben, beseitigt oder falls das sogenannte Fallwild schwer verletzt ist, vom Leiden erlöst? Oder wer die hohe Rehdichte auf dem Friedhof Hörnli dezimiert, wo das Wild jährlich an den Blumen Schäden zwischen 50'000 und 60'000 Franken verursacht? Oder wer zuständig sein soll, wenn besorgte Hausbesitzer anrufen, in ihrem Garten würde sich ein an Fuchsräude erkrankter Fuchs aufhalten? Bis jetzt wird bei solchen Fällen der Wildhüter des Bezirks von Riehen- Bettingen beigezogen, denn Polizisten sind für solche Einsätze weder vorgesehen noch ausgebildet.
«Es ist klar, dass diesen Dienst sonst niemand gratis macht», sagt Balmelli. Und er fügt hinzu: «Die Grossrätinnen und Grossräte, die diese Motion unterschrieben haben, sind gerne eingeladen, uns in den Wald zu begleiten, dass sie sich ein eigenes Bild davon machen können, wie schonend wir die Jagd ausüben und wie das Wild reagiert.»
http://bazonline.ch/basel/stadt/BambiRomantik-versus-Naturschutz/story/20637430
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